An Bilddeutungssysteme, die Aufgaben wie die Unterstützung der Diagnose im medizinischen Bereich, die Untersuchung von komplexen Satellitenaufnahmen und die teileweise inhaltsbasierte Suche in Bilddatenbanken lösen sollen, werden verschiedene Flexibilitätsanforderungen gestellt:
i. Das Auswerten von Bildern unterschiedlicher Qualität;
ii. Die Fähigkeit mit Bildern unterschiedlicher Klassen zu arbeiten, wie z.B. Computertomographien, MRI-Tomographien, Röntgenaufnahmen und Ultraschallaufnahmen im medizinischen Bereich;
iii. Domänenwissen, d.h. Wissen über mögliche Bildinhalte flexibel in die Bilddeutung miteinzubeziehen, um das Lösen von komplexeren Untersuchungsaufgaben zu ermöglichen.
Eine grundlegende Erkenntnis der herkömmlichen Forschung im Bereich der Bilddeutung ist, daß Bilddeutungsverfahren in vielen Hinsichten noch fehlerhaft sind, daher benötigen wir eine Möglichkeit, diese Fehleranfälligkeit und Unzuverlässigkeit zu umgehen. Die Lösung ist, ein Bilddeutungssystem in Form einer Bilddeutungsshell zu entwickeln, die die konkreten Bilddeutungsverfahren steuert und allgemeine Anforderungen erfüllt. Diese allgemeinen Anforderungen an ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem lassen sich anhand der im vorigen Abschnitt beschriebenen Probleme (s. P. 1 bis P. 7 in Abschnitt 2.1.2.2) der herkömmlichen Bilddeutungsmethoden begründen. Wir werden diese jetzt beschreiben und im Folgendem als Leitfaden für die Erstellung unseres Modells verwenden.
Anf. i Anpassung der Bilddeutung auf das jeweilige Untersuchungsziel.
Aufgrund der Untersuchungsaufgabenbeschränktheit (P. 2) ist es wichtig, den Bilddeutungsprozeß nicht nur an das jeweilige Bild anzupassen, sondern auch zu berücksichtigen, was gesucht wird und, aufgrund dessen, die geeignetesten Bilddeutungsmethoden zu verwenden. Dieses Paar: das konkrete Bild und das konkrete Ziel der Untersuchung, d.h., die Angabe des im Bild zu findenden Objektes, betrachten wir als eine Bilddeutungsaufgabe.
Begriffsbestimmung XII : Bilddeutungsaufgabe ist ein Tupel bestehend aus einem Bild und einem Untersuchungsziel. Ein Untersuchungsziel kann als eine Problemstellung gesehen werden, die durch die schrittweise Deutung des Bildes gelöst wird. Beispiele für Untersuchungsziele sind: "suche nach Gebieten in der rechten Hirnhälfte, die Tumore sein könnten", "suche, ob ein Absterben von Hirngewebe aufgrund einer Vergrößerung der Hirnkammern zu vermuten ist" oder "suche, ob in der Garnrolle Unterschiede in der Färbung zu erkennen sind".
Der Begriff der Bilddeutungsaufgabe wird später mit der Definition eines Bilddeutungsproblems verfeinert werden (vgl. Abschnitt 2.4.1).
Die beiden ersten Beispiele sollen zusätzlich verdeutlichen, daß obwohl mit denselben Bildern gearbeitet wird, die gestellten Aufgaben sehr unterschiedlich sein können und folglich auch die Methoden zur Lösung der Aufgabe verschieden sein werden.
Begriffsbestimmung XIII : Zu einer Bilddeutungsaufgabenklasse gehören alle Bilddeutungsaufgaben, bei denen die zu untersuchenden Bilder zu derselben Bildklasse gehören und die das gleiche Untersuchungsziel haben.
Anf.ii Anpassung der Bilddeutung auf Bildklassen.
Da für verschiedene Bilddeutungsaufgaben verschiedene Zusammensetzungen von Bilddeutungsmethoden notwendig sind (P. 1), müssen die Vorgehensweisen zumindest für Paare <Bildklasse,Untersuchungsziel>, d.h., für eine Bilddeutungsaufgabenklasse in einem wissensbasierten Bilddeutungssystem modellierbar sein (P. 3). Allgemeine high-level-Vorgehensweisen wie "Bildsegmentierung" oder "Kantendetektion" für die Bilddeutung müssen als abstrakte Bilddeutungsoperationen modellierbar sein Aus denen wird von dem System ein Bilddeutungsvorgang zusammengesetzt und dann verfeinert. Die einzelnen Bilddeutungsmethoden, die einer Applikation zu Verfügung stehen müssen auch modelliert werden können, so daß für eine Bilddeutungsaufgabenklasse eine konkrete Zusammensetzung von Methoden gefunden werden kann.
Die Parameter für die jeweiligen Bilddeutungsmethoden werden durch die Bilddeutungsaufgabenklasse bestimmt. Abhängigkeiten zwischen Parameterwerten oder zumindest zulässigen Wertebereichen für Parameter sollten zusammen mit dem Wissen über die Vorgehensweise der Bilddeutung modelliert werden können (P. 4).
Anf.iii Berücksichtigung von Bildbegleitinformation.
Ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem sollte die Gesamtheit der Information berücksichtigen können, die mit dem Bild geliefert werden kann und die für eine Erhöhung der Zuverlässigkeit der Bilddeutungsergebnisse führen kann (P. 5).
Begriffsbestimmung XIV : Bildbegleitinformation sind alle Daten, die aufgrund der Natur des bildgebenden Verfahrens und anderer Informationsquellen zusammen mit einem Bild geliefert werden und die für die Bilddeutung von Relevanz sind.
So bildet für eine Kernspintomographie die Menge der vom Tomograph gelieferten Aufnahmeparameter eine für die Bilddeutung sehr wichtige Informationsquelle, da diese Parameter unter anderem Aufschluß geben über die Kontrastverhältnisse im Bild, darüber welches Gewebe hell und welches dunkel erscheint und ob es überhaupt sichtbar ist. Beispiel für solche Bildbegleitinformation im Kernspintomographiebereich sind Echozeit, Echotyp, Aufnahmeprotokoll, field of view, und andere Daten.
Viele bildgebende Verfahren liefern zusammen mit einem Bild eine Menge von Parametern, die in der Regel wichtige Information über Charakteristika des entsprechenden Bildes liefern.
Begriffsbestimmung XV : Bildbegleitparameter ist ein als atomar zu betrachtendes Element aus der Bildbegleitinformation. So ist die Echozeit einer MRI-Aufnahme ein Bildbegleitparameter.
Ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem sollte Zwischenbeziehungen und Abhängigkeiten zwischen Bilddeutungsmethoden, Parametersetzungen von Bilddeutungsmethoden, Bildklassen und Werte einzelner Bildbegleitparameter berücksichtigen können.
Anf.iv Anpassung der Bilddeutung auf spezielle Bilder innerhalb der einzelnen Bildklassen.
Diese Anforderung kann als ergänzend zu ANF. III GESEHEN WERDEN. NICHT DIE GESAMTE BILDBEGLEITINFORMATION IST F&UUML;R ALLE BILDER EINER BILDKLASSE GLEICH. VARIATIONEN VON EINZELNEN PARAMETERN K&OUML;NNEN AUFTRETEN. DIESE VARIATIONEN K&OUML;NNEN EINE AUSWIRKUNG AUF DIE GEEIGNETE PARAMETERSETZUNG DER AUF DIESE BILDER ANZUWENDENDEN VERFAHREN HABEN. DESHALB IST ES NICHT M&OUML;GLICH, EINE KOMPETENTE REPR&AUML;SENTATION EINER ZUSAMMENSETZUNG VON BILDDEUTUNGSOPERATOREN F&UUML;R EINE AUFGABE NUR MITTELS EINER STARREN MODELLIERUNG DIESER FOLGE VON OPERATOREN UND DEREN PARAMETERN F&UUML;R EINE BILDKLASSE ZU ERZEUGEN.
Aufgrund der Parameterempfindlichkeit vieler Methoden, muß die Deutung einer Feinanpassung der Parameter an die Bildparameter unterliegen (P. 5).
Anf. v Auswahl der jeweils optimalen Bilddeutungsmethode für eine Bilddeutungsaufgabe, wenn mehrere zur Verfügung stehen.
Da Bilddeutungsmethoden in der Regel stark ressourcenkonsumierend sind, sollte unter verschiedenen zur Verfügung stehenden Methoden, die ausgewählt werden, die den höchsten Grad an Zuverlässigkeit für die zu betrachtende Bilddeutungsoperation besitzt und somit die höchste Wahrscheinlichkeit aufweist, eine korrekte oder zumindest brauchbare Ausgabe zu liefern. Daher sollte es möglich sein, Präferenzrelationen über die einzelnen Bilddeutungsmethoden zu definieren. Für die Definition dieser Präferenzrelationen oder Optimalitätsbeziehungen müssen Abhängigkeiten zwischen Bildklasse, Bilddeutungsmethode, Bildparameter, Bilddeutungsaufgabe und Parameter von Bilddeutungsmethoden in eine Modellierung einbezogen werden können (P. 7).
Anf. vi Auswahl der jeweils optimalen Parametersetzung einer Bilddeutungsmethode für eine Bilddeutungsaufgabe, wenn mehrere zur Verfügung stehen.
Für die Definition der Präferenzrelationen oder Optimalitätsbeziehungen müssen insgesamt Abhängigkeiten zwischen Bildklasse, Bilddeutungsmethode, Bildparameter, Bild-deutungsmethodenparameter und Bilddeutungsaufgabe in eine Modellierung einbezogen werden können (P. 5).
Anf. vii Flexibler Zugriff auf existierende Bilddeutungsverfahren.
Ein flexibles und leicht erweiterbares System muß den Zugriff auf existierende Implementierungen von Bilddeutungsmethoden erlauben, von denen bekannt ist, daß diese, sofern entsprechend gesteuert, für die Durchführung der vorgesehenen Bilddeutungsoperationen geeignet sind.
Die Bilddeutungsmethoden müssen so modelliert werden können, daß sie für das Bilddeutungssystem eine homogene Schnittstelle bilden. Diese muß zwischen den atomaren Bilddeutungsoperationen existieren, die sie verkörpern und den tatsächlichen Implementierungen, die verwendet werden (P. 2).
Anf. viii Zugriff auf bzw. Modellierung von Domänenwissen, das formal getrennt und unabhängig von den Auswertungsverfahren selbst dargestellt wird.
Ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem muß entweder über eine Schnittstelle verfügen, die es erlaubt, auf in einer unabhängigen externen Wissensbasis gespeicherten Domänenwissen zuzugreifen und in der Bilddeutung zu verwenden, oder selbst über eine Möglichkeit der Modellierung von Domänenwissen verfügen (P. 6).
Anf. ix Steuerung durch Domänenwissen.
Domänenwissen kann entscheidend sein, um den Erfolg einer Untersuchung zu bestimmen. So kann Vorwissen über Form, Farbe und Lokalisation von gesuchten Objekten oder Merkmalen in Bilder nicht nur die Suche verkürzen, aber auch in der Auswahl von den geeigneten Bilddeutungsmethoden mitwirken. So können Auflistungen von funktionalen Störungen aus einer neurologischen Anamnese Aufschluß geben, über die Lokalisation und mögliche Ausdehnung einer Läsion und vermeiden, daß auch irrelevante Schnittbilder einer Tomographieserie untersucht werden (P. 6).
Anf. x Revisionsfähigkeit, um den Erfolg von einzelnen oder Folgen von Bilddeutungsschritten zu untersuchen. Dazu müssen die Ergebnisse der Durchführung von Bilddeutungsschritten in Verbindung mit den von ihnen verursachten Entscheidungen gebracht werden und diese Entscheidungen müssen gegebenfalls geändert werden können (P. 6).
Ein solcher Revisionsmechanismus muß verworfene Zwischenergebnisse speichern und wieder abrufen können, für den Fall, daß Zwischenergebnisse, die als unzureichend aber nicht als inkorrekt betrachtet worden sind, wieder aufgegriffen werden können, falls sich keine bessere durch Methoden- oder Parameteränderungen erzielen lassen. So kann eine zunächst als "schlecht" klassifiziertes Segmentierungsergebnis, das aber eine lange Rechenzeit in Anspruch genommen hat, wiederaufgegriffen werden, falls Versuche mit denselben Methoden unter anderen Parametersetzungen sich als noch ungünstiger zeigen, ohne diese Segmentierung erneut durchführen zu müssen.
Anf. xi Die Unterstützung der Integration von neuen Verfahren in existierende Systeme.
Da ständig neue Bilddeutungsmethoden entwickelt werden, die die Zuverlässigkeit und Kompetenz früherer übersteigt, sollte ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem die Integration dieser neuen Verfahren in ein bestehendes System unterstützen. So daß nicht nur die Integration dieser neuen Verfahren durch einfache Modellierungs- und Steuerungsmöglichkeiten und -werkzeuge vereinfacht wird, sondern auch die Entwicklung und Modellierung neuer, an diese Bilddeutungsmethoden angepaßte Bilddeutungssequenzen unterstützt wird (P. 2).
Anf. xii Entwicklungsumgebung für Erweiterungen und Verbesserungen.
Ein wissensbasiertes Bilddeutungssystem sollte seine eigene evolutionäre Entwicklung unterstützen. Verschiedene Ereignisse können während der Verwendung solch eines Systems auftreten und müssen berücksichtigt werden:
Diese Beschreibung entspricht dem Kapitel 2 vom Cyclops-Buch "Wissensbasierte Analyse Medizinischer Bilder", ab Januar 1997 im INFIX-Verlag erhältlich.